TEIL I
Leider ist das Thema Anschlagpunkte zu umfangreich beschrieben und mit einer Vielzahl an Normen, Vorschriften und Verordnungen behaftet, um in diesem Newsletter ausführlich und detailliert darauf einzugehen. Da das Thema Arbeitsschutz auf Baustellen nach wie vor ein Dauerbrenner ist und aufgrund der immensen Anzahl an verunfallten Personen sowie den damit einhergehenden Kosten und Beitragsanpassungen alle Beteiligten betrifft, versuche ich nachfolgend die wichtigsten Grundlagen aufzuzeigen.
Landläufig wird im Lastfall immer wieder gerufen: „wo steht denn das geschrieben oder woraus ergeben sich die denn die Grundlagen für Anschlagpunkte für Absturzsicherungen“? Während in Österreich die Maßnahmen zur Sicherung von Personen z.B. u.a. im BauarbeitenKoordinantionsgesetz (BauKG) klar geregelt und definiert sind, werden die Grundlagen in Deutschland auf mehrere „Schultern“ verteilt. Diese sind im Einzelnen:
1. Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)
Die Zielsetzung des ArbSchG ist die Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz von Beschäftigten bei der Arbeit. Hieraus ergeben sich in der Zusammenfassung aus §3 Arbeitgeber Pflichten
• Maßnahmen zum Arbeitsschutz treffen und gegebenenfalls anpassen / verbessern • Allgemeine Grundsätze (§4) beachten , beurteilen und dokumentieren • Daraus entstehende Kosten tragen
2. Baustellenverordnung (BaustellV)
Die Zielsetzung der BaustellV ist die Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz von Beschäftigten auf Baustellen. Hieraus ergeben sich in der Zusammenfassung aus §3
• Der Bauherr oder eine geeigneter Koordinator muss einen SiGe-Plan erstellen und umsetzen • Unterlagen für spätere Arbeiten sind zu berücksichtigen • Die allgemeinen Grundsätze (§4 ArbSchG) koordinieren
3. Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV)
Die Zielsetzung der BetrSichV ist die Sicherheit und der Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln, woraus sich folgende Zusammenfassung ergibt:
• Zu §1
• Geeignete Arbeitsmittel für den entsprechenden Verwendungszweck • Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten
• Zu §3 • Gefährdungsbeurteilung durch Arbeitgeber erstellen CE Zeichen auf Arbeitsmitteln ersetzt dies nicht!
• Zu §4 • Arbeitsmittel erst verwenden, wenn: • Eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wurde • Schutzmaßnahmen nach dem Stand-der-Technik getroffen wurden • Verwendung nach dem Stand-der-Technik sicher ist
• Zu §10 • Instandhaltung der Arbeitsmittel ist Arbeitgebersache • Arbeitsmittel müssen immer in einem sicheren Zustand erhalten werden
4.Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV)
Die Zielsetzung der ArbStättV ist die Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz von Beschäftigten beim Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten. Hieraus ergeben sich in der Zusammenfassung aus §3
• Beurteilung der Gefährdungen, welchen Beschäftigten beim Errichten/Betreiben von Arbeitsstätten ausgesetzt sind, oder sein könnten • Schutzmaßnahmen nach dem Stand-der-Technik festlegen • Gefährdungsbeurteilung vor Arbeitsbeginn dokumentieren
5. Technische Regel für Arbeitsstätten (ASR 2.1)
Aus dieser Zielsetzung ergeben sich Maßnahmen bei Verkehrswegen zum Schutz vor Absturz oder herabfallender Teile, woraus sich folgende Zusammenfassung ergibt:
• Kriterien für eine Gefährdungsbeurteilung: • Arbeitshöhe • Art, Dauer der Tätigkeit • Standplatz (geneigte Fläche) • Fläche darunter • Schüttgüter (versicken) • Flüssigkeiten (ertrinken) • Beton (harter Aufschlag) • Bewehrungsanschlüsse (aufspießen) • Gegenstände, Maschinen, Fahrzeuge • Absturzgefahr besteht aber einer Höhe ≥ 1m • T-O-P Prinzip anwenden
6. Technische Regel für Betriebssicherheit (TRBS 2121)
Die Zielsetzung der TRBS 2121 ist die Beschreibung von Zusammenhängen und Vorgehensweisen für das Gefahrenfeld Absturz von Personen (Konkretisiert die BetrSichV), woraus sich folgende Zusammenfassung ergibt:
• Gefährdungsbeurteilung Gefährdung durch Absturz ist zu verhindern bzw. so gering wie möglich zu halten • Maßnahmen werden nach dem T-O-P Prinzip geplant bei Verwendung von PSAgA ist dafür eine gesonderte Gefährdungsbeurteilung zu erstellen • Ausnahmen Verzicht auf PSAgA wenn • Arbeiten von fachlich qualifiziertem und körperlich geeigneten Personal ausgeführt werden • Der Arbeitgeber für den begründeten Ausnahmefall eine gesonderte Unterweisung durchgeführt hat. • Absturzkante deutlich erkennbar ist
T-O-P Die zu wählende Reihenfolge für Schutzmaßnahmen
1. T (=technische Arbeitsschutzmaßnahmen) z.B. Geländer, Kapselungen, Gerüste, Absperrungen
2. O (=organisatorische Arbeitsschutzmaßnahmen) z.B. Zutrittsbeschränkungen, Schichtregelungen, Vorsorgeuntersuchungen, Unterweisungen
3. P (=persönliche Arbeitsschutzmaßnahmen) z.B. PSAgA, Sicherheitsschuhe, Handschuhe, Helme
Und welche Normen regeln die Themen
Ø Anschlagpunkte
Ø Sicherheitsdachhaken
Ø Dachhaken
Ø Leiterhaken
Ø DIN 4426 Einrichtungen zur Instandhaltung baulicher Anlagen
Ø DIN 516 Zubehörteile, Leiterhaken
Ø DIN 517 Sicherheitsdachhaken
Ø DIN 795 Anschlageinrichtungen
Die Ausstattungsklassen, Wartungsintervalle etc. werden neben den Vorschriften der UVV in der DGUV Vorschrift für das Dachdeckerhandwerk geregelt.
Hierzu sind gegenwärtig folgende Punkte auszuführen:
Ø DIN EN 795 regelt „Persönliche Schutzeinrichtungen – Anschlageinrichtungen“ und wird derzeit überarbeitet
Ø von der baulichen Einrichtung abnehmbar
Ø zur Verwendung einzelner Personen
Ø Die DGUVi 201-056 liefert Planungsgrundlagen und die Mindestausstattung von Dächern aus Sicht der gesetzlichen Unfallversicherung
Ø Die DIN 4426:2017-01 „Einrichtungen zur Instandhaltung baulicher Anlagen -
Ø Sicherheitstechnische Anforderungen an Arbeitsplätze und Verkehrswege - Planung und Ausführung“ regelt/informiert auf Grundlage der Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen (Baustellenverordnung – BaustellV —) zur Aus-führungsplanung und Vorbereitung des Bauprojekts über allgemeine Grundsätze zur Verhütung von Gefahren für Sicherheit und Gesundheit.
Ø Derzeit wird beim DIN die DIN EN 17235:2018-09 Entwurf „Permanente Anschlageinrichtungen und Sicherheitsdachhaken“; Deutsche und Englische Fassung prEN 17235:2018 geführt. Sie ist jedoch bislang nur Entwurf und gilt daher nicht als a.a.R.d.T..
ABZ Zulassungen
Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung
Die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) - umgangssprachlich oft auch DIBt-Zulassung genannt - wird vom Deutschen Institut für Bautechnik für alle Anschlag-einrichtungen und Absturzsicherungen verlangt, die zum dauerhaften Verbleib am Gebäude gedacht sind. Solche Einrichtungen sind gemäß DIBt Bestandteil des Gebäudes. Betroffen sind Personenanschlagpunkte ebenso wie Seilsicherungssysteme und Schienensicherungssysteme. Sicherheitsdachhaken sind von der Regelung bisher allerdings ausgenommen.
Überprüfung/Wartung: Ist die Überprüfung und ggf. Wartung jährlich vorzunehmen?
Sicherheitsdachhaken sind keine Vorrichtungen, die als Teile eines Verkehrswegs für Dritte bzw. der dafür nötigen Bauteile Verwendung finden sollen. Gemäß Definition in der DGUVi 201-056 wird über die Personengruppe, die den Anschlagpunkt nutzen soll, die Ausstattungsklasse abgeleitet.
Für die Verwendung durch Personen der Dachberufe wird die Ausstattungsklasse 1 zugeordnet. Aus dem geringen Nutzungsintervall leitet die DGUVi eine „sehr geringes“ Wartungsintervall von > 5 Jahren ab
Teil II
Warum sollen keine Einzelanschlagpunkte mehr verwendet werden?
Sobald eine Person die Dachfläche für z.B. Reparatur-, Wartungs- oder Inspektionsarbeiten betritt, wird ein Arbeitsplatz geschaffen. Der zuständige Unternehmer muss für den Monteur eine Gefährdungsbeurteilung erstellen, in der die Gefahren aufgezeigt werden und wie diese vermieden werden können. Grundlage dafür ist das Arbeitsschutzgesetz. Zwei wesentliche Punkte des Gesetzes in §4 betreffen diese Maßnahmen. Pkt. 2 fordert, dass die Gefahren an der Quelle zu bekämpfen sind und Pkt. 5, dass individuelle Maßnahmen nachrangig sind und somit kollektive Maßnahmen Vorrang haben.
Diese Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes sind nur mit Geländersystemen an der Absturzkante zu verwirklichen. An Lichtkuppeln oder anderen Durchsturzgefahren nach Innen müssen Geländer oder Durchsturzgitter angebracht werden.
Für Fälle in denen aus technischen oder architektonischen Gründen keine kollektiven Maßnahmen installiert werden können, hat die BG Bau und die BG HM im Jahr 2012 mit der DGUV Information 201-056 (BGI 5164 Planungsgrundlagen für Anschlageinrichtungen auf Dächern) eine Entscheidungsgrundlage herausgebracht, die die Wertigkeit der einzelnen Maßnahmen regelt. Auf Seite 14 und 15 sind die Ausstattungsklassen für Dächer geregelt.
Demnach dürfen Einzelanschlagpunkte nur noch eingebaut werden, wenn das Nutzungs- und Wartungsintervall > 5 Jahre beträgt und die Personen im Umgang mit PSAgA geschult sind. In der nächsten Ausstattungsklasse sind Anschlageinrichtungen mit horizontaler Führung (Seil oder Schiene) vorzusehen. Weiterhin haben Rückhaltesysteme Vorrang vor Auffangsystemen.
Nur mit horizontal geführten Anschlageinrichtungen können Rückhaltesysteme zur Anwendung kommen, da nur so das Verbindungsmittel einmal bis zur Absturzkante eingestellt werden muss und die Person nie zum Absturz kommen kann. Mit Einzelanschlagpunkte können keine Rückhaltesysteme angewendet werden. Hier ist immer die Gefahr des Absturzes gegeben. Die DGUV 201-056 nimmt hierzu auf Seite 7 eindeutig Stellung. Bei der Verwendung von Einzelanschlagpunkten nimmt man einen Absturz billigend in Kauf und muss für diesen Fall ein Rettungskonzept erstellen, dass zur Vorgabe hat, dass die abgestürzte Person innerhalb 15min gerettet werden muss.
Auch die Technische Regel für Betriebssicherheit (TRBS 2121) „Gefährdung von Personen durch Absturz“ schreibt eindeutig vor, das kollektive Maßnahmen Vorrang haben.
Zusammenfassend ist mitzuteilen, dass Einzelanschlagpunkte nicht mehr verwendet werden dürfen. Alle Regelwerke sehen dies vor. Die DGUV 201-056 ist mittlerweile von alle Fachleuten anerkannt und in der Praxis erfolgreich eingeführt. Daher hat sie den aktuellen Stand der Technik erreicht.
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